Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 10 – Modernes Einwanderungsrecht
Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Eka von Kalben:
Wir haben es gestern in der Debatte gesehen: Wir sind uns in diesem Hause einig, dass wir Einwanderung wollen. Dieser gemeinsame Konsens ist viel wert. Ich begrüße daher ausdrücklich den Antrag der FDP.
Er ist nämlich gleichzeitig ein wichtiges Signal für die gesellschaftliche Debatte. Mit dieser Debatte sind wir in den letzten 20, 30 Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Natürlich rein zufällig ist es genauso lange her, dass die Grünen in die Landtage und in den Bundestag gewählt wurden.
Noch in den 90ern betonte Helmut Kohl, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Gott sei Dank war das im letzten Jahrhundert. Diese Zeiten sind vorbei. Heute, und das erkenne ich ohne jede Ironie an, spricht sich auch Angela Merkel ausdrücklich für Einwanderung, zugewanderte Kulturen und Religionen aus. Das begrüße ich sehr.
Die Debatte ist vorangekommen und auch das Einwanderungsrecht ist in den letzten Jahrzehnten schon wesentlich besser geworden. Das größte Manko der geltenden Regelung ist allerdings, die fehlende Flexibilität. Die fehlende Übersichtlichkeit. Und immer noch sind die Hürden zu hoch.
Wir wollen und brauchen Zuwanderung. Wir machen es denen, die zu uns kommen, leicht - diese Botschaft muss laut und deutlich nach draußen gehen. In deutscher Genauigkeit und Gründlichkeit ist diese Botschaft aktueller, als ein „Ja… - aber… - vielleicht… - wenn … - und dann nur unter folgenden Voraussetzungen!“
Machen sie sich mal den Spaß und googlen sie einmal „canada + migration“. Sie finden auf Anhieb eine kanadische Webseite, auf der sie unkompliziert testen können, ob sie nach Kanada einwandern können.
Und dann googlen sie noch einmal „Deutschland und Migration“. Welche Voraussetzungen Deutschland hat, lässt sich nicht einmal auf der Seite der Bundesbeauftragten für Migration Aydan Özoguz auf einen Blick unkompliziert herausfinden.
Ein neues Einwanderungsrecht muss verständlich sein und auch so dargestellt werden können. Wenn man es nicht übersichtlich auf einer Homepage darstellen kann, ist es vermutlich zu kompliziert. Zumindest in dem Punkt können wir von Kanada noch viel lernen.
Selbst mehrere Doktortitel reichen vermutlich nicht, um diese Homepage, geschweige denn das Einwanderungsrecht, spontan zu verstehen. Das ist schlecht, denn es schreckt ab.
Und das legt den Finger auf einen weiteren schwachen Punkt: Bislang begrüßt die Einwanderungspolitik in Deutschland AkademikerInnen etwas herzlicher als NichtakademikerInnen. Das müssen wir ändern.
Arbeitseinwanderung muss auf allen Qualifikationsstufen unterstützt und gefördert werden. Vom ungelernten Arbeiter bis zur Astrophysikerin. Wer eine Qualifikation schon mitbringt - sei es als Einwanderer oder als Flüchtling - ist herzlich willkommen. Und auch für Nichtqualifizierte muss es Zugangswege geben. Dieser Punkt fehlt mir noch in dieser Deutlichkeit im Antrag der FDP. Im Zweifel muss die Entscheidung lauten: Pro Einwanderung. Flexibilität ist das A und O.
Das kanadische Punktesystem werden wir im Ausschuss kritisch analysieren. Wie flexibel und zeitnah können solche Kriterienkataloge der Verwaltung auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren? Bis die gesuchten Berufe Eingang in die Verwaltungsvorschriften gefunden haben, benötigt der Arbeitsmarkt schon wieder ganz andere Kräfte. Auf dieses Manko des „Vorzeigemodells“ Kanada haben verschiedene PolitikwissenschaftlerInnen hingewiesen. Wir werden dies im Innenausschuss erörtern.
Nicht dass ein falsches Bild entsteht, ich betone es noch einmal: Wir müssen die Tore wesentlich weiter aufmachen, als es bisher der Fall ist. Wir brauchen Einwanderung. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine Neufassung des Einwanderungsrechts.
Zu einem Gesamtkonzept muss ein Bildungsangebot für die gehören, die zu uns kommen und bei uns bleiben. Ich sage nicht, dass alle Menschen in Deutschland bleiben sollen.
Aber wenn jemand zu uns gekommen ist, ist es doch hinreichend schwachsinnig zusagen: „Du bist ja nur Wirtschaftsflüchtling - Du musst erst ausreisen, dann kannst Du erneut anfragen, ob du im Zuge eines Einwanderungsprogramms wiederkommen darfst.“
Der demografische Wandel ist in aller Munde und wie Wolfgang Kubicki gestern in der Debatte so schön gesagt hat: Es ist Zeit, in die Puschen zu kommen.
Es ist doch paradox: Zahlreiche Menschen kommen zu uns, die bei uns arbeiten wollen, Geld verdienen und sogar Deutsch sprechen.
Deutschland hat Zuwanderungsbedarf und Deutschland hat Zuwanderung. Man könnte meinen, das Problem sei gelöst. Der FDP-Antrag greift es daher ganz richtig auf: Warum klären wir nicht direkt bei der Asylantragsstellung systematisch, welche Qualifikationen die Menschen haben? Die einen sind vielleicht Flüchtlinge. Die anderen möchten „nur“ hier arbeiten oder eine Ausbildung machen und bringen die nötigen Voraussetzungen mit. Der Wechsel des Status muss unproblematisch möglich sein. Auch da ist wieder Flexibilität gefordert.
An dieser Stelle sieht man auch wieder, dass die Trennung zwischen Flüchtlings- und Integrationspolitik nahezu künstlich ist: Menschen kommen zu uns. Sowohl Flüchtlinge, als auch solche, die keine Anerkennung als Flüchtling erhalten können. Sie wollen arbeiten. Wie oft gab es in den letzten Jahren Fälle, bei denen Abschiebungen von Familien die Öffentlichkeit bewegten, obwohl die Väter Jobangebote vorliegen hatten, die Schulkinder gut integriert waren. Man kann sich darüber streiten, ob es inhuman ist, solche Menschen abzuschieben. Aber, meine Damen und Herren, eine Abschiebung macht in Zeiten von Fachkräftemangel doch schon rein ökonomisch überhaupt keinen Sinn.
Für diese Menschen brauchen wir berufsbezogene Sprachkurse. Vorrangprüfung und Arbeitsverbote müssen abgeschafft werden. Beide Instrumente sagen mehr oder weniger deutlich: Du bist uns nicht ganz so willkommen. Und sie sind nicht mehr zeitgemäß.
Für das Gesamtkonzept ist ein kreativer Wettbewerb der politischen Ideen gefragt: Ist Kanada das richtige Modell? Soll es eine Lotterie nach amerikanischem Vorbild geben? Wie machen es andere Staaten? Hilft die doppelte Staatsbürgerschaft dabei, das Land attraktiver zu machen? Darf man auch nur für ein paar Jahre kommen oder wiederholt für vorübergehende Zeiträume einreisen?
Das Recht hinkt der Lebenswirklichkeit vieler Menschen hinterher. Es ist Zeit für ein Einwanderungsgesetz 2.0. Die Menschen sind längst in der Arbeitswelt der Zukunft angekommen. Sie wollen vor allem eins: Flexible und unbürokratische Regelungen. Und zwar Regelungen, die sie verstehen können.
Ich möchte noch einen Punkt ehrlich ansprechen: Wir müssen weiterhin daran arbeiten, dass Menschen aus anderen Ländern in Deutschland keine Angst haben müssen. Gott sei Dank sind die Zeiten der 90er auch in dieser Hinsicht vorbei.
Heute leisten Initiativen überall im Land für eine Willkommenskultur wertvolle Arbeit. Ich danke ihnen dafür von Herzen.
Aber auch die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Übergriffe ist im letzten Jahr wieder gestiegen. Und wer einmal in Panik von einer Bande Jugendlicher über den Marktplatz getrieben wurde, weil denen das Aussehen irgendwie „andersartig“ vorkam, überlegt sich zweimal, ob Deutschland ein attraktives Land zum Leben und Arbeiten ist. Wir müssen alles daran setzen, dass diese zum Glück bislang immer noch vereinzelt vorkommenden Übergriffe nicht weiter zunehmen. Jeder ist einer zu viel!
Das Problem geht aber noch tiefer: Eine Ayse Yüksel hat es in Deutschland immer noch schwieriger als ein Hans Schneider, eine Wohnung zu bekommen. Auch Familien mit mehreren Kindern haben es nicht immer leicht bei der Wohnungssuche. Das gilt übrigens für Zugewanderte genauso wie für Nichtzugewanderte.
Bei diesem Problem hilft auch das beste Einwanderungsgesetz nichts. Und daher komme ich jetzt wieder zu der Signalwirkung: Es ist ein Signal, wenn wir uns in diesen Zeiten für eine erleichterte Einwanderung stark machen. Dieses starke Signal können wir als Staat setzen: Einwanderung muss familiengerechter gestaltet werden. Kinder und Ehegatten müssen unproblematisch nachkommen dürfen. Ohne den bürokratischen Deutschnachweis. Das Instrument hat sich nicht bewährt zur Bekämpfung von Menschenhandel. Auch die realistische Aussicht auf einen unbefristeten Aufenthalt oder die doppelte Staatsbürgerschaft können den Zuzug attraktiver gestalten. Sicher, das beendet keine Ausländerfeindlichkeit.
Aber der Antrag der FDP zeigt den Weg auf, den Deutschland dringend gehen muss. Eher gestern als morgen. Daher unterstütze ich eine Bundesratsinitiative von ganzem Herzen. Wir unterhalten uns im Ausschuss über die notwendigen Details. Aber die Richtung ist klar: Deutschland und besser noch Europa braucht ein flexibleres Einwanderungsrecht.