Die Fachkräfte-Stärken-Strategie braucht Zeit

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 7A + 27 + 35 – Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes u.a.

Dazu sagt die kitapolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Catharina Nies:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,

mir ist wichtig, dass wir uns heute noch einmal klar machen, warum eine verlässliche frühkindliche Bildung und Betreuung so wichtig ist.

Erstens: Frühkindliche Bildung ist das nachhaltigste Instrument, um jungen Menschen in unserem Land wirklich gerechte Startchancen zu geben.

Zweitens. Der Fachkräftemangel hat alle Segmente erreicht. Deshalb können wir uns gesamtgesellschaftlich weder Gruppenschließungen in Kitas leisten noch Eltern, die ihrem Job nicht nachgehen können, weil sie ihre Kinder zu Hause betreuen müssen.

Das haben auch die Freien Wohlfahrtsverbände gestern vor dem Landtag zurecht noch einmal betont. Fehlende Kita-Plätze sind genauso ein Problem, wie nicht verlässliche Kita-Plätze.

Drittens: Die Qualität unseres Kita-Systems heute wird darüber entscheiden, wie angespannt die Arbeitsmarktlage in der Zukunft sein wird, nämlich in 15, in 20 und in 25 Jahren.

Denn jedes Kind, das in unserem Bildungssystem abgehängt wird, das nicht gefördert und nicht gut begleitet wird, ist sehr wahrscheinlich – neben allen anderen Folgen – auch eine fehlende Fachkraft von übermorgen. Und zwar eine zusätzlich fehlende Fachkraft. Denn allein Demografie bedingt werden schon etwa 180.000 Personen auf unserem hiesigen Arbeitsmarkt ab 2035 fehlen, primär Fachkräfte im mittleren Qualifikationsspektrum.

Auch wenn es mir schwerfällt das so zu betonen. Ich rücke sehr ungern ökonomische Fragen mit Bildung in einen Kontext, denn Kinder sollen sich in erster Linie persönlich entfalten können. Aber uns allen muss klar sein, dass es keine hohle Phrase ist, wenn wir sagen, dass die Investition in Kita auch eine Investition in die Zukunft der gesamten Gesellschaft ist. Deshalb muss es ein übergeordnetes Interesse sein, dass wir unser frühkindliches Bildungssystem stark und verlässlich aufstellen.

Und für schwarz-grün kann ich sagen: Wir handeln genau nach dieser Maxime und sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst. Und deshalb werden wir 2024 knapp 700 Millionen Euro seitens des Landes in unser Kita-System investieren. Das ist so viel wie noch nie.

Aber es muss sichergestellt werden, dass dieses Geld auch effektiv in den Kindertageseinrichtungen ankommt. Dafür sind die Evaluationsergebnisse wichtig und der Verhandlungsprozess, auf den wir im Jahr 2024 zusteuern. Und ich bin froh, dass wir über die Anhörung in der letzten Woche auch hinsichtlich des Zeitplans nun zu einem einvernehmlichen Vorgehen gekommen sind. Wir haben unseren Gesetzesentwurf in diesem Sinne angepasst. Wir werden den Evaluationszeitraum auf Ende April verschieben, den Gesamtzeitplan zum Übergang ins Zielsystem zum 01.01.2025 aber halten.

Ich bin zuversichtlich, dass es uns im nächsten Jahr gelingen kann, ein gutes, tragfähiges Kita-Zielsystem aufzustellen. Aber wir werden daran intensiv und vor allem gemeinsam arbeiten müssen.

Bleiben wir noch kurz beim Thema Finanzen: Ich bin froh, dass die Unsicherheit, die ich seit Monaten wahrnehme, die aber auch öffentlich immer weiter geschürt wurde, aus welchen Gründen auch immer, seit gestern endlich ein Ende hat. Denn gestern wurde der Haushaltsentwurf der Landesregierung vorgestellt, direkte Kürzungen im Bereich Kindertagesstätten und Kindertagespflege wurden erfolgreich abgewendet und auch die Elternbeiträge werden nicht erhöht, auch wenn die Opposition seit Monaten versucht, das Gegenteil zu unterstellen.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ministerin Touré ganz herzlich bedanken, die sich dafür so stark eingesetzt hat.

Neben der Finanzierung ist unsere wohl größte Herausforderung eine eklatante Fachkräftelücke im gesamten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Und deshalb ist es auch gut, dass wir im September bereits beschlossen haben, dass ab nächstem Jahr regelhaft zur Fachkräfte- und Ausbildungssituation im Bereich Kindertageseinrichtungen, Ganztagsbetreuung und Jugendhilfe hier im Landtag berichtet werden soll.

Aber den Fachkräftemangel gibt es nicht erst seit heute und nicht erst seit dem Regierungswechsel vor eineinhalb Jahren. Die Fachkräfte, die uns heute fehlen und die heute dafür sorgen, dass immer wieder Gruppen in Kitas kurzzeitig schließen und Eltern das auffangen müssen, diese Fachkräfte hätten vor drei, vor fünf und vor zehn Jahren ausgebildet werden müssen.

Fachkräftestrategien wirken immer zeitversetzt. Unsere Fachkräfte-Stärken-Strategie wird ihre Wirkung auch erst in einigen Jahren voll entfalten. Seit 2013 gibt es Fachkräfteprojektionen für Schleswig-Holstein. Bereits 2018 wurden 10.000 fehlende Kräfte im Bereich Erziehung und Unterricht für das Jahr 2035 berechnet. In den letzten zehn Jahren waren alle Fraktionen in diesem Raum mal in Regierungsverantwortung, Verantwortung für die Fachkräftesituation haben wir also alle.

Umso wichtiger ist, dass wir den Weckruf jetzt hören und handeln. Jedes Mal, wenn ich in einer Kita sitze und höre, dass Gruppenschließungen im Raum stehen, ist es nicht die eine Frage, sondern es sind mehrere Herausforderungen, die angehäuft dazu führen. Neben regionalen Besonderheiten: Stellen, die nicht neu besetzt werden können, hohe Krankenstände des vorhandenen Personals und teilweise geringe Verweildauer von Fachkräften im Kita-System.

Das Thema ist nicht neu. Aber was neu ist, ist unsere „Fachkräfte-Stärken-Strategie“, die genau an diesen Stellen ansetzt. Neu ist, dass wir uns als Landtag und als Landesregierung dem Problem entschlossen stellen.

Wir haben eine PIA-Ausbildungsoffensive gestartet, die Landesförderung der neuen praxisintegrierten Ausbildung erhöht und auf knapp 800 Plätze ausgeweitet und neu für SPA und Heilpädagogik eingeführt. Wir haben die Personalgewinnungsmöglichkeiten durch mehr Quereinstiegsmöglichkeiten ausgeweitet. Wir haben bei Krankheitsausfällen das finanzielle Rückforderungsrisiko für Kitas entschärft. Wir haben die Attraktivität des Berufs der Sozialpädagogischen Assistent*in durch neue Aufstiegsmöglichkeiten erhöht und für das gesamte Fachpersonal in den Kitas sowie für Kindertagespflegepersonen erhöhte Vergütung ermöglicht, indem wir bereits vor den Sommerferien unseren Landesanteil für Personal erhöht haben, entsprechend dem Tarifabschluss im April.

Jetzt empfehle ich uns allen, diese neuen Möglichkeiten auch wirken zu lassen. Die Personalqualifikationsverordnung wurde im September diesen Jahres angepasst. Sie ist drei Monate in Kraft. Die Lösungen von heute werden ihre Zeit brauchen, um eine positive Wirkung zu erzielen. Und sie müssen in der Praxis auch erstmal ankommen und angenommen werden.

Ich bin überzeugt, wir werden die angespannte Lage in unseren Kitas nur lösen, wenn wir in dieser Frage alle an einem Strang ziehen. Und ich möchte Sie alle einladen, mit uns genau daran weiter zu arbeiten und den ambitionierten Zeitplan nach der Evaluation gemeinsam zu halten.

Und da dies meine letzte Rede in diesem Jahr ist, wünsche ich Ihnen allen ein Frohes Weihnachtsfest und besinnliche Feiertage!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Catharina Nies

Sprecherin für Migration, Flucht, Frauen, Gleichstellung, Familie, Kinder, Kita