Wir brauchen die Familienstartzeit für Gesundheit und Gleichstellung

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 10 – Mehr Zeit für Familien – Familienstartzeit einführen

Dazu sagt die familienpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Catharina Nies:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleg*innen,

wir haben gestern über die Große Anfrage zu der Gesundheit von Frauen gesprochen und wir sind auch mit der „Familienstartzeit“ immer noch mitten im Thema. Worum geht es? Das EU- Recht schreibt seit 2019 den sogenannten „Vaterschaftsurlaub“ vor, eine mindestens zehntägige Freistellung der Väter oder zweiten Elternteile direkt nach der Geburt, um bei Mutter und Kind sein zu können.

Eine intensive Startzeit als ganze Familie nach der Geburt eines Kindes tut allen gut. Vater und Baby, die von Beginn an eine Bindung aufbauen können. Den Geschwistern, die Aufmerksamkeit erhalten, und auch der Mutter, die Unterstützung in dieser schönen, aber oftmals auch sehr schwierigen Phase erhält.

Die Zeit nach der Geburt ist die Zeit, in der eine Familie sich neu kennenlernt und alle in ihre neuen Rollen als Mama, Papa, Bruder oder Schwester hineinwachsen. Wenn eine Familie diese ersten Wochen intensiv zusammen erleben und erkunden darf, dann ist das förderlich für alle und für die Bindung zum Baby.

Es ist auch die Zeit, in der erste Rituale aufgebaut werden, zum Einschlafen, Stillen, Wickeln und Waschen. Die Aufteilung dieser Sorgearbeit in der Anfangszeit und die konsequente Beteiligung des Vaters daran wirkt sich darauf aus, ob beide Elternteile ihr Baby auch künftig gemeinsam versorgen und die Carearbeit weitestgehend gleichgestellt untereinander aufteilen oder nicht.

Eine Freistellung nach der Geburt für den Vater oder die Partner*innen ist also relevant dafür, wie sich die geschlechtliche Aufteilung der Carearbeit und damit die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt in unserer Gesellschaft entwickeln wird.

Ein neugeborenes Baby kommuniziert permanent mit seiner Umgebung. Und es braucht Eltern, die jederzeit reagieren können und ihm Sicherheit geben, die versuchen zu erraten, was es gerade braucht. In dieser Phase da zu sein und dem Baby zu zeigen, ich höre und verstehe dich, kann viel in der Bindung zum Kind, für seine spätere Resilienz und seine Entwicklung bedeuten. Auch deshalb bin ich sehr für die Einführung einer Familienstartzeit auf Bundesebene.

Und noch ein Punkt ist wichtig: Eine Frau kommt bei der Geburt ihres Kindes an ihre Grenzen, erlebt Schmerzen, die weit über das hinaus gehen, was vorstellbar ist, und nicht selten auch traumatisierende Momente. Ich kenne das auch. Viele Frauen kennen das.

Das Wochenbett hat lange Tradition und es heißt nicht umsonst Wochenbett. Die Gebärende soll im Bett liegen bleiben, sich erholen, die Geburt verarbeiten können und beginnen zu heilen – innerlich und äußerlich. Und das im besten Fall sechs bis acht Wochen.

Wenn am Anfang keine Unterstützung da ist, dann passiert folgendes: Eine Frau, die gerade erst entbunden hat, wird bereits am ersten Tag aus dem Bett aufstehen und ihren Heilungsprozess zurückstellen. Die Rückbildung ihres Körpers wird leiden und die gesundheitlichen Konsequenzen kommen Jahre später.

Um dies zu vermeiden, hilft es, wenn beide Elternteile am Anfang nach der Entbindung zu Hause sind, mindestens für die ersten zwei Wochen, eigentlich länger. In Finnland sind es neun Wochen Freistellung für die Partner*innen, in Spanien vier Wochen.

Wir vergessen das manchmal, aber „Mutterschutz“, das ist kein technischer Begriff, der nur finanzielle Rechte beschreibt. Mutterschutz ist ein staatliches Schutzinstrument für Hochschwangere und für Frauen, die im Wochenbett liegen, und Zeit brauchen, um die körperlichen, psychischen und seelischen Belastungen zu verarbeiten, die hinter ihnen liegen. Und dafür benötigen sie Unterstützung. Wenn es der Vater sein kann, der die Familienstartzeit nimmt, dann ist das wunderbar.

Ebenso wichtig finde ich es, dass bei der Einführung auch die Situation Alleinerziehender mitgedacht wird. Deutschland sollte mindestens eine zweiwöchige Familienstartzeit ermöglichen bei vollem Lohnausgleich für Väter oder Partner*innen oder Vertrauenspersonen, weil wir damit gesellschaftlich viel gewinnen, für die Gleichstellung und für die Gesundheit.

Und ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie dies seit 2019 verbindlich vorschreibt und Deutschland verpflichtet gewesen wäre, den sogenannten Vaterschaftsurlaub, also die Familienstartzeit bis Ende 2022 bereits in nationales Recht umzusetzen. Das muss dringend nachgeholt werden.

Mit dem vorliegenden Antrag beauftragen wir unsere Landesregierung, sich intensiv für eine Einigung auf Bundesebene einzusetzen. Ich danke der SPD, dass sie das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat und hoffe, dass wir unseren Alternativantrag hier heute gemeinsam beschließen.

Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Catharina Nies

Sprecherin für Migration, Flucht, Frauen, Gleichstellung, Familie, Kinder, Kita