Die größte Bedrohung unserer Demokratie geht weiterhin von rechts aus

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 40 – Verfassungsschutzbericht 2023

Dazu sagt der innen- und rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen,

Jan Kürschner:

Sehr geehrte Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,

nur wenige Wochen nach dem 75. Geburtstag des Grundgesetzes gilt es, einen bitteren Befund auszusprechen: Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik forderten Verfassungsfeinde den Staat und die Gesellschaft stärker heraus als heute. Dazu kommt noch eine gestiegene Bedrohungslage aus dem Ausland, Cyberangriffe und Sabotageakte. Wir stehen diesen Bedrohungen mit den Instrumenten der wehrhaften Demokratie gegenüber. Eines davon ist der Verfassungsschutz, dem ich an dieser Stelle für seine Arbeit und den vorgelegten Bericht danke.

Allerdings hege ich zuletzt angesichts der manchmal langwierigen Prozesse in den Behörden und nachgelagert der jahrelangen Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten Bedenken, ob das System der wehrhaften Demokratie effektiv wirkt oder sogar zu scheitern droht. In Schleswig-Holstein sind wir nicht von den Vorgängen in der Welt entkoppelt.

Die durch den menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas ausgelösten Ereignisse in Nahost beeinflussen das Geschehen in unserem Land. Wir erleben einen drastischen Anstieg antisemitischer Straftaten um die 116 Prozent. Antisemitismus ist niemals akzeptabel. Auch die extreme Linke ist nicht davor gefeit, was nicht neu ist. Im Sommer 2023 gab es prominente Taten im linksextremistischen Bereich, begangen von zugereisten Personen, die allesamt nicht in Schleswig-Holstein leben. Insgesamt spielt dieser Bereich in Schleswig-Holstein aber keine große Rolle, was sich im weiteren Absinken der Taten insgesamt und der knappen Halbierung der Gewaltdelikte zeigt. Bei den absoluten Zahlen ist der Phänomenbereich rechts siebenfach größer als der Phänomenbereich links.

Zum Punkt Islamismus ist folgendes zu sagen: Der Islamismus ist eine menschenfeindliche Ideologie, die tötet. Das Kalkül dahinter ist wie bei anderen Formen des Extremismus auch, die westlichen Gesellschaften dazu zu bringen, die Freiheitlichkeit ihrer Demokratien aufzugeben, damit die Demokratie als Gesellschaftsbild an Attraktivität verliert. Den Gefallen sollten wir ihnen nicht tun. Wer für die Einführung des Kalifats demonstriert und die Bundesrepublik als „Wertediktatur“ verunglimpft und dabei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, dem sollten wir mit allen Mitteln entgegentreten, die uns die Verfassung zu ihrer Verteidigung bietet. Die größte Bedrohung der Demokratie geht aber weiterhin von rechts aus.

In Schleswig-Holstein haben sich im Jahr 2023 die Gewalttaten durch Rechtsextremisten fast verdoppelt. So einen krassen Anstieg gab es sonst nur noch in Bayern. Wenn die Statistiken stimmen, befindet sich Schleswig-Holstein, was die absoluten Zahlen angeht, damit jetzt in etwa auf einer Ebene mit ostdeutschen Bundesländern. Das möge man sich vergegenwärtigen!

Die AfD Schleswig-Holstein ist Teil einer Bundespartei, die nicht nur als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ eingestuft ist. Das ist durch zwei Gerichtsinstanzen bestätigt. Sie agiert auch als ein Scharnier für die gesamte extrem rechte Szene. Es gibt einen Schulterschluss der AfD in Schleswig-Holstein mit bekannten rechtsextremistischen Personen und Organisationen. Das lässt sich an dem Teilnehmerfeld des von der Frau Ministerin erwähnten Vernetzungstreffens „Tag des Vorfelds“ deutlich ablesen. Ich habe den Eindruck, die AfD in Schleswig-Holstein legt es bewusst darauf an, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Anders kann das „Herzlich willkommen“ des AfD-Landesvorsitzenden in diesem Zusammenhang kaum zu verstehen sein.

Wer sich auf unerträgliche Art und Weise verfassungsfeindlich äußert, kann nicht gleichzeitig so tun, als sei man ein armes Opfer von Unterstellungen, was denn mit dem Wort „Remigration“ gemeint sei. Gefährlich ist, dass es der extremen Rechten gelingt, mit ihren Themen Anschluss an größere Teile der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ zu finden und Diskurse nach Rechtsaußen zu verschieben. Wir laufen als Gesellschaft Gefahr, unseren moralischen Kompass zu verlieren.

Wie ist einer Abwendung von der Demokratie nun entgegenzutreten? Eine gute Politik entzieht dem Extremismus seinen Boden, heißt es. Man kann gewiss darüber streiten, was gute Politik ist. Aber ganz abgesehen von rechtlichen und praktischen Schranken: In möglichst kurzer Zeit einfach möglichst viele Menschen aus Deutschland abzuschieben, was nicht wenige immer wieder reflexhaft fordern, kann damit nicht gemeint sein. Diese Vorstellung ist naiv.

Um zuversichtlich zu enden: Der Großteil der schleswig-holsteinischen Bevölkerung bekennt sich zu unseren demokratischen Werten und ich glaube, dass das so bleibt, auch wenn zwölf Prozent für die AfD bei der Europawahl zu viel sind. Darüber sollten wir zwar nicht in Selbstzufriedenheit versinken, es kann uns mit Blick auf die Ergebnisse in anderen Bundesländern aber durchaus noch zuversichtlich stimmen.

Vielen Dank!

Jan Kürschner

Sprecher für Innen, Recht, Medien, Datenschutz, Open Data