Êzîd*innen in Schleswig-Holstein Sicherheit geben

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 13 + 46 – Neues Landesaufnahmeprogramm für Êzîdinnen und Êzîden

Dazu sagt stellvertretend für die migrationspolitische Sprecherin Catharina Nies die Abgeordnete der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Eka von Kalben:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Kolleg*innen,

Êzîd*innen sind eine ethnisch-religiöse Minderheit, die leider eine sehr lange Verfolgungsgeschichte hat und nach wie vor in ihren Herkunftsländern im Alltag oft stark diskriminiert lebt. Ihre Hauptsiedlungsgebiete sind im Nordirak, der Südtürkei und Nordostsyrien.

Schätzungen zufolge leben etwa 250.000 Êzîd*innen in der Bundesrepublik, damit lebt in Deutschland die größte êzîdische Diaspora. Die Zugehörigkeit zu religiösen Minderheiten wird vom BAMF nicht regelhaft abgefragt, sondern im Verfahren nur freiwillig angegeben und nicht im Ausländerzentralregister eingetragen. Deshalb können Zahlen nur geschätzt werden.

Vor etwa zehn Jahren, im Spätsommer 2014, kam es in der Sindschar-Region in Nordirak zu einem Völkermord und Gruppenvertreibungen durch den IS an den dort lebenden Êzîd*innen. Anfang 2023 wurde der Genozid vom deutschen Bundestag endlich anerkannt.

Ein Großteil der êzîdischen Community lebt auch heute, zehn Jahre nach dem Genozid, als Binnenvertriebene in ihrem eigenen Land. Hunderttausend Menschen leben prekär in großen Geflüchtetenlagern im Irak oder außerhalb der Lager in Zelten, in noch schwierigerer Lage, ohne ausreichend Trinkwasser, Lebensmittel, Strom und medizinischer Versorgung.

Die humanitäre Situation ist elend und ohne Lebensperspektiven der überwiegend sehr jungen Menschen. Über 50 Prozent der Iraker*innen sind unter 20 Jahre alt. Auch das Auswärtige Amt schätzt die aktuelle Sicherheitslage als schwierig ein, denn die irakische Regierung sei nach wie vor nicht in der Lage, als Staat den Schutz der Êzîd*innen in vielen Gebieten sicherzustellen, insbesondere in Sindschar, wo Milizen sich bekämpfen, Streumunition nicht geborgen und die Strom- und Wasserinfrastruktur nach wie vor zerstört ist.

Auch wenn heute nicht mehr von einer Gruppenverfolgung gesprochen werden kann, hat sich das Leben der Êzîd*innen in ihren Herkunftsregionen leider alles andere als normalisiert. Der Irak ist weit entfernt davon, die Siedlungsgebiete wieder aufzubauen und das Sindschar-Abkommen von 2020 und Wiederaufbaufonds umzusetzen. Trotzdem sollen die Geflüchtetencamps laut irakischer Zentralregierung bis zum Ende des Jahres geschlossen werden.

Wie es mit den letzten 23 Geflüchtetencampsin der kurdischen Region weitergeht ist ungewiss. Verhandlungen hierzu zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung haben noch kein Ergebnis. Letztere würde die Camps wohl gerne weiter unterstützen. Zu befürchten ist, dass sie in informelle Strukturen ohne staatliche Unterstützung überführt werden. Die humanitäre Lage für Binnenvertriebene und Rückkehrer*innen, die nur diese Zuflucht hatten, wird perspektivisch also noch schlimmer.

Heute, im Jahr 2024, nachdem es seit einigen Monaten zu vermehrten Rückführungen in den Irak kommt, steigt die Angst vieler Êzîd*innen in das Land zurückkehren zu müssen, in dem sie und ihre Familien geschändet, jahrelang versklavt und vertrieben wurden. Das kollektive Trauma sitzt tief.

Doch einen bundesweiten Abschiebestopp unterstützt durch das Bundesinnenministerium gibt es leider nach wie vor nicht. Einzelne Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen Ende 2023 und Rheinland-Pfalz und Niedersachen 2024 haben ihrerseits einen temporären Rückführungsstopp veranlasst, bis vor wenigen Wochen. Sie sind also ausgelaufen.

Das Problem: Die Handhabung der Landesregierungen ist limitiert auf drei Monate mit einmaliger Verlängerungsoption. Wenn wir für die bei uns lebenden Êzîd*innen also Bleibesicherheit schaffen wollen, brauchen wir eine Landesaufnahmeanordnung für die Gruppe der Êzîd*innen.

Nach § 23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz kann das zuständige Ministerium anordnen, dass Personen aus bestimmten Staaten aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Anordnung kann sich auf Personen beziehen, die sich im Inland oder im Ausland befinden und denen nicht bereits aus anderen Gründen ein Aufenthalt in Deutschland gewährt wurde.

Ich bitte die Landesregierung, diese rechtlichen Möglichkeiten, die wir als Bundesland haben, um die Menschen zu schützen, voll auszuschöpfen. Die Aufnahme und der Schutz von Êzîd*innen hat in Deutschland Tradition und auch in Schleswig-Holstein. Lassen Sie uns diese Tradition aufrechterhalten.

Wir haben die Möglichkeiten dazu, die Menschen zu schützen und ihnen hier eine Lebensperspektive zu schaffen. Lassen Sie uns diese Möglichkeit auch nutzen. Wir zeigen hiermit nicht nur, dass wir als Bundesland wieder einmal in der humanitären Aufnahme vorangehen, sondern auch bei unseren Integrations- und Teilhabestrukturen. Denn nicht nur die Aufnahme ist entscheidend, sondern auch das Ankommen.

Die Landesregierung hat gemeinsam mit den Kommunen über viele Monate hinweg eine Strategie entwickelt, die deutlich macht, wie wichtig uns als Land Zuwanderung, chancengerechte Teilhabemöglichkeiten für Erwachsene und Kinder und ein gemeinsames Tragen der Verantwortung zwischen Bund, Land und Kommunen sind.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Integrationsministerin für diesen Kraftakt und die Strategie, die prall gefüllt ist mit Maßnahmen im Bereich der frühkindlichen Bildung und Schule, Traumapädagogik, Maßnahmen zur Unterstützung bei Ausbildung und Arbeit, Spracherwerb, Ehrenamt, medizinischen Zugänge und Beratung.

Besonders wichtig ist, dass alle Ressorts mitgearbeitet und aus ihren Bereichen zugeliefert haben und damit zeigen, Migration und Integration sind Querschnittsaufgaben, die wir gemeinsam bewältigen und die uns gemeinsam voranbringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Eka von Kalben

Landtagsvizepräsidentin

Sprecherin für Europa, Religion und Inklusion