Junge Menschen brauchen vielfältige Unterstützungsangebote für den Weg zum Schulabschluss

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 20 + 21 – Schulabschluss an Förderzentren anerkennen; Junge Menschen ohne Schulabschluss

Dazu sagt der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Malte Krüger:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

2012 Schüler*innen haben in Schleswig-Holstein im Jahr 2021 die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, das entspricht einem Anteil von 7,4 Prozent. Das sind zwar weniger als in den drei Jahren davor, aber natürlich immer noch zu viele. Spricht man bei diesen Schüler*innen aber nun pauschal von sogenannten „Schulabbrecher*innen“, greift das viel zu kurz.

Denn nur ein Teil von ihnen geht ohne Abschluss. Ein anderer Teil macht einen Förderschulabschluss, 2018 waren diese Teile etwa gleich groß. In der Debatte heute schauen wir uns beide Teile an. Denn wir müssen und wollen für beide etwas tun.

Zu den Maßnahmen, wie wir mehr Menschen zum ersten Allgemeinbildenden Schulabschluss – dem ESA – führen wollen, hat die Ministerin schon einiges gesagt. Das PerspektivSchulprogramm ist ein beispielhafter Ansatz für ein besseres Schul- und Lernklima. Und auch wenn nur einzelne Schulen direkt im Programm beteiligt sind, könnten wir von ihnen, ihren Lösungen und den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung auch viel für andere Schulen lernen.

Was tun wir also? Man kann es nicht oft genug betonen: Bildungserfolg, das zeigen alle Studien, hängt zuallererst an den Lehrkräften. Wir brauchen genug davon und wir müssen sie gut aus- und fortbilden. Gerade mit Blick auf Unterstützung für Schüler*innen, denen das Lernen, aus welchen Gründen auch immer, schwerer fällt. Unsere Anstrengungen hierzu finden sich im Handlungsplan Lehrkräftegewinnung, den wir in diesem Jahr noch fortschreiben.

Dort, wo Lehrkräfte aber die Zeit nicht haben, allen Schüler*innen bei allen Herausforderungen bestmöglich zur Seite zu stehen, brauchen wir weitere Mitglieder im „Team Schule“. Schulsozialarbeit leistet hier schon jetzt großartige Arbeit und muss auch weiterhin unterstützt werden. Wie dies gestaltet werden kann, darüber sprechen wir ja noch in diesem Raum, unser Antrag dazu liegt vor. Aber auch Schulpsycholog*innen, Schulassistenzen und Schulbegleitungen helfen im engen Austausch miteinander und mit den Lehrkräften dabei, Lernorte aktiv mitzugestalten und zu verbessern.

Und im Zusammenhang mit dem kommenden Ausbau der Ganztagsangebote sollten wir diese Expertise, wie auch die aus dem PerspektivSchul-Programm, dringend mitnehmen.

Diese Maßnahmen müssen gezielt da ansetzen, wo es nötig ist: Junge Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit verlassen die Schule mehr als doppelt so häufig ohne ESA, Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Es gibt also einiges zu tun.

Aber auch für die jungen Menschen mit Förderbedarf, die trotz Förderschulabschluss allzu oft in der Debatte und in Statistiken in die Schublade „Menschen ohne Schulabschluss“ geworfen werden, müssen wir einstehen.

Von den Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verlässt die Mehrheit in Schleswig-Holstein die Schule ohne ESA. Und ich bin Jette Waldinger-Thiering und dem SSW dankbar, dass sie mit ihrer Initiative darauf hinweisen, dass dies nicht heißt, dass sie nichts geleistet hätten. Es tut diesen jungen Menschen Unrecht, wenn sie den Stempel „Schulabbrecher“ aufgedrückt bekommen.

In der Begründung des SSW-Antrags heißt es, dass laut Bertelsmann-Studie 49 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss von Förderzentren stammen. In Schleswig-Holstein ist dieser Anteil mit 23,5 Prozent deutlich geringer, was vor allem an unserem im Ländervergleich hohen Inklusionsanteil liegt. Aber auch von den an allgemeinbildenden Schulen beschulten Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf macht die Mehrheit keinen ESA.

Der überwiegende Teil dieser Schüler*innen erreicht aber einen Förderschulabschluss, also die Ziele des jeweils individuell festgelegten Bezugsrahmens. Und dafür sollten diese Schüler*innen auch Wertschätzung erfahren, weshalb auch wir die Anerkennung und Ausweisung von Förderschulabschlüssen in Berichten und Statistiken in unseren Alternativantrag mit aufgenommen haben. Und dies nicht nur für Schüler*innen an Förderzentren, sondern auch an solchen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die inklusiv an unseren allgemeinbildenden Schulen beschult werden.

Wertschätzung allein ist aber nicht genug, deshalb gehen wir mit unserem Alternativantrag noch weiter. Insgesamt führen wir in Schleswig-Holstein immer noch vergleichsweise wenige Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum ESA. Das wollen wir ändern.

Hierzu brauchen wir zunächst eine differenzierte Erfassung dieser Zielgruppe und die Einführung von Standards in der sonderpädagogischen Diagnostik an unseren Förderzentren. Und wir wollen ein Rahmenkonzept für Kriterien, die das Erreichen der Ziele im genannten individuellen Bezugsrahmen beschreiben. Wir wollen Kooperationen zwischen Förderzentren und Gemeinschaftsschulen stärken und Maßnahmen wie die erfolgreich laufenden FLEX-Klassen weiterführen und ausweiten.

Und auch am Übergang Schule-Beruf müssen wir mehr Perspektiven schaffen. Der absolut überwiegende Teil der Schüler*innen mit Förderschulabschluss findet keine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt und keinen Ausbildungsplatz. Das betrifft übrigens auch die Gruppe der Schüler*innen ohne Förderbedarf, die keinen ESA erreichen.

Für beide Gruppen brauchen wir also mehr Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung. Alles andere wäre in Zeiten von Fachkräftemangel unverantwortlich.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Malte Krüger

Sprecher für Schule, Hochschule, Wissenschaft, berufliche und politische Bildung