Wir brauchen eine grundsätzliche Reform unseres Pflegesystems

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 25 – Pflege muss bezahlbar sein

Dazu sagt der pflegepolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,

obwohl Pflege eines der gesellschaftlich relevantesten Themen der aktuellen Zeit ist, so hat sich das im vergangenen Bundestagswahlkampf überhaupt nicht widergespiegelt. Dieses Missverhältnis hat drei Gründe:

Erstens: Allen politischen Parteien und Akteur*innen ist klar, dass im Bereich Pflege ganz grundsätzliche Richtungsentscheidungen getroffen werden müssen, die den Menschen auf die ein oder andere Art und Weise etwas abverlangen werden.

Zweitens: Das Thema ist komplex, es geht um unheimlich hohe Summen und es sind alle politischen Ebenen, Bund, Länder, Kommunen, sowie die Selbstverwaltung unseres Gesundheitssystems beteiligt. Für populistische, griffige und schnelle Konzepte ist das Thema also hinreichend ungeeignet.

Drittens: Die meisten Menschen setzen sich mit dem Thema Pflege erst dann auseinander, wenn sie selbst oder An- und Zugehörige unmittelbar davon betroffen sind. Doch dann ist es meist zu spät, denn wer pflegender Angehöriger ist, hat meist nicht die Kraft, sich noch zusätzlich in Politik und den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Und die Pflegefachkräfte und Menschen, die in der Pflege tätig sind, haben es noch immer nicht geschafft, sich politisch eindeutig gegenüber der Politik zu vertreten, siehe die Pflegekammer in Schleswig-Holstein.

Das alles macht Pflege als Wahlkampfthema unattraktiv, doch ich kann nur hoffen, dass sich eine neue Bundesregierung kein Beispiel daran nimmt, sondern mit einer breiten Unterstützung der Länder eine grundsätzliche Reform unseres Pflegesystems anstrebt.

Aktuell haben wir ein Dickicht an staatlichen Leistungen, Steuermitteln wie Hilfe zur Pflege, unser Pflegewohngeld und Leistungen aus der Pflegeversicherung. Allein die Drittelfinanzierung der Pflegeausbildung aus stationären Pflegeeinrichtungen, die diese Ausbildungskostenbeiträge auf die Bewohner*innen umlegen, Land und Pflegeversicherung ist ein gutes Beispiel für die Komplexität und die ineinander laufenden Säulen unseres Pflegesystems.

Dieses komplexe Konstrukt folgt nicht immer einem logischen Konzept, vor allem aber macht es das Leben für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen unnötig schwer. Die Vielzahl an Anträgen und Nachweisen, die die Menschen für die Beantragung von Leistungen erbringen müssen, sind für viele gar nicht richtig zu erbringen.

Aus meiner Sicht gibt es daher drei zentrale Schrauben, an denen wir und eine künftige Bundesregierung drehen muss, um spürbar etwas für die Menschen in der Pflege zu verbessern:

Erstens: Wir müssen über steuerliche Vorteile und Zuschüsse zur Rente für pflegende Angehörige sprechen. Von den circa fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wird knapp die Hälfte, also 2,5 Millionen Menschen, alleine durch ihre Angehörigen gepflegt, eine Million davon durch ihre Angehörigen in Zusammenarbeit mit einem ambulanten Pflegedienst.

Wir alle sind uns einig, dass die Menschen, die es wollen, so lange wie möglich in ihrer Häuslichkeit versorgt werden sollten und wir müssen dankbar sein und diejenigen unterstützen, die dies möglich machen. Der Euro, der hier investiert wird, ist auch der effizienteste Euro.

Zweitens müssen wir über eine Erweiterung der Einnahmenseite sprechen. Das Konzept der Bürger*innenversicherung existiert nun schon lange, mir ist es persönlich aber total egal, wie wir es nennen. Klar ist nur, dass es so nicht weiter gehen kann. Für das Jahr 2025 wird ein Finanzierungsloch von 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Pflegeversicherungen prognostiziert, Kostensteigerungen, der demographische Wandel, Fachkräftemangel und die anderen bekannten Probleme erschweren das System noch zusätzlich.

Es muss deshalb auf der Einnahmenseite etwas getan werden, Abgeordnete, Beamt*innen, Selbstständige, Einkommen aus Kapital und Vermögen müssen mit hinzugezogen werden, ansonsten lassen sich die steigenden Eigenanteile nicht deckeln und das System nicht mehr kontrollieren. Ohne eine grundlegende Reform droht der sozialen Pflegeversicherung langfristig eine Funktionsunfähigkeit, was eine Neuausrichtung des Systems dringend erforderlich macht.

Und drittens müssen wir zu einer stärkeren regionalen Steuerung der pflegerischen Angebote kommen. Kommunen sollten mehr rechtliche Möglichkeiten erhalten, das pflegerische Angebot zu steuern und Quartierskonzepte auf den Weg zu bringen, die der Situation vor Ort angemessen sind. Es braucht eine bessere Abstimmung ambulanter Pflegedienste, von Konzepten von Wohnpflegeeinrichtungen, stationären wie teilstationären Einrichtungen sowie Pflegestützpunkten.

Aktuell besteht die Möglichkeit der kommunalen Planung in vielen Bereichen, diese Planungen haben aber meist keine rechtlichen Bindungen. Immer wenn ich mich als Landespolitiker in die Runden des Gesundheitsnetzwerks Lübeck setze, merke ich, dass die beteiligten Akteur*innen vor Ort viel besser um den Bedarf der Menschen vor Ort Bescheid wissen. Wir sollten sie deshalb darin stärken, ihr Wissen in die Versorgungslandschaft zu tragen.

Ich bin mir sicher, dass uns das Thema Pflege auch hier im Landtag noch weiter beschäftigen wird. Ich bedanke mich für die Debatte und die Aufmerksamkeit.

Jasper Balke

Sprecher für Gesundheit, Pflege, Ehrenamt, Sport, Gesundheitswissenschaften, Medizinische Forschung und Lehre