Wir dürfen Armut und soziale Problemlagen nicht bestrafen

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 13 – Stärkere Einbindung der Gerichtshilfe und freier Träger bei Ersatzfreiheitsstrafen

Dazu sagt der innen- und rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/die Grünen, Jan Kürschner:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete,

unser vorliegender Antrag beschäftigt sich mit der Ersatzfreiheitsstrafe. Wann gibt es eine Ersatzfreiheitsstrafe? Wenn Menschen eine Geldstrafe nicht zahlen. Das ist quasi ein Automatismus. Nur interessiert das im Grunde niemanden. Der Strafvollzug hat nur wenig Lobby und Gefangene gar keine.

Es kommen in Deutschland mehr Personen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe – also wegen einer nicht gezahlten Geldstrafe – in Strafhaft als wegen einer verhängten Freiheitsstrafe. Das muss man sich einmal zu Gemüte führen.

Die Mehrzahl der Fälle wird dabei per Strafbefehl beschieden, also ohne Gerichtsverhandlung, in Schleswig-Holstein 2021 zu 78 Prozent. Diese Menschen haben also nie ein Gericht gesehen. Mit einem rein formalen Akt, der für die Bürger*innen oft wie eine Art Bußgeldbescheid wirkt, gehen diese Menschen schlussendlich ins Gefängnis.

Wer sind diese Menschen? Menschen, die ihre Post nicht mehr öffnen, so sie überhaupt eine Postadresse haben, Menschen in sozialen Problemlagen, Obdachlosigkeit, Menschen, die diese Debatte im Landtag sicher nicht verfolgen.

In den letzten Jahren gibt es endlich etwas Bewegung in den Reformbestrebungen des Bundes zur Ersatzfreiheitsstrafe. Vom Bund aus kommt wohl immerhin eine Halbierung der Aufenthaltsdauer in der Haft. Das würde aber nicht die Anzahl der Inhaftierungen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe verringern.

Der ehemalige Kollege in diesem Haus, Herr Wolfgang Kubicki, hatte 2016 eine kleine Anfrage zur Ersatzfreiheitsstrafe an das Justizministerium gestellt, ebenso Herr Rother von der SPD 2021. Die Frage: Welche Kosten sind durch die Ersatzfreistrafen entstanden? Ein Monat Haft kostet in Schleswig-Holstein bummelig etwas über 5.000 Euro. Bundesweit kosten die Ersatzfreiheitsstrafen die Steuerzahlenden pro Jahr mehr als 200 Millionen Euro.

Dem steht eine Geldstrafe ca. 500 Euro gegenüber, was einem Monat Ersatzfreiheitsstrafe entspricht. Wir zahlen also bundesweit Millionenbeträge, um Menschen wegen Bagatelldelikten zu bestrafen, oft Beförderungserschleichung. Menschen, die eigentlich nicht ins Gefängnis gehören, und bei denen nie ein Gericht entschieden hat, dass diese Menschen in Haft sollen. Das ist bittere Realität in Deutschland, schon seit sehr vielen Jahren. Diesen Menschen gehört anderweitig geholfen.

Gleichzeitig entlasten wir damit unseren überlasteten Strafvollzug. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn das Personal in den Justizvollzugsanstalten ist am oder über dem Limit, wenn ich auf die Krankenstände anschaue. Und gerade die Ersatzfreiheitsstrafen bedeuten am Anfang viel Arbeit.

Kurz zum Thema „Schwitzen statt sitzen“, sprich die Strafe mit Arbeitsstunden abzuarbeiten. Das Ministerium selbst schreibt 2021 auf die Anfrage des Herrn Rother, wie schwer dies ist, angesichts der „problematischen Lebenssituation und Persönlichkeitsstruktur“. Die Klientel ist häufig schlicht nicht in der Lage, die erforderlichen Arbeitsstunden abzuleisten. Was sollen diese Menschen aber im Gefängnis? Hinzu kommt, dass manche dadurch ihre Wohnung verlieren und nach der Haft keine mehr finden.

Wir wollen verpflichtend die Gerichtshilfe oder freie Träger vor Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe einschalten, auf dass sich die individuelle Situation der Menschen angeschaut und darauf reagiert werden kann, bevor nur noch die Haft bleibt. Der wichtigste Punkt dabei: Es soll aktiv aufgesucht werden, wenn die Leute sich nicht melden und einfach nicht gezahlt wird. Oft wird es reichen, eine Ratenzahlung zu vereinbaren und einen Teil der Sozialleistungen direkt an die Landeskasse zu leiten, denn die allermeisten beziehen Sozialleistungen.

Wir haben gleichzeitig auch Mittel dafür im Landeshaushalt bereitgestellt, so dass es zügig losgehen könnte. Wir dürfen Armut und soziale Problemlagen nicht bestrafen, bitte stimmen Sie alle unserem Antrag zu.

Vielen Dank!

Jan Kürschner

Sprecher für Innen, Recht, Medien, Datenschutz, Open Data