Wir dürfen ländliche Räume nicht aus dem Blick verlieren

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 23 – Regionalpolitik der EU: Zusammenhalt stärken, ländliche Räume zukunftsfest machen

Dazu sagt die europapolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Eka von Kalben:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,

Kohäsionspolitik, das ist ein furchtbar sperriges und erklärungsbedürftiges Wort. Als Kohäsion bezeichnet man in der Physik die Bindungskräfte zwischen Atomen. Kräfte also, die für Zusammenhalt sorgen. Die Kohäsionspolitik soll den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt der Regionen stärken. Kohäsionspolitik ist Strukturpolitik. Und das funktioniert natürlich mit Geld.

Also zum Beispiel mit Strukturfonds wie den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäische Sozialfonds (ESF). Etwa ein Drittel des EU-Haushalts dient dieser Politik. Im aktuellen Förderzeitraum sind das EU-weit rund 378 Milliarden Euro, wovon Deutschland rund 21 Milliarden Euro erhält.

Geht man auf das Portal „KOHESIO“, das die Europäische Kommission betreibt, dann kann man sich anschauen, was das bedeutet: 4.495 Projekte wurden aus diesen Mitteln allein in Schleswig-Holstein bereits gefördert; ein Tischler im Kreis Segeberg, ein Kino auf Sylt, Marzipan aus Lübeck, Wurstverpackung in Dithmarschen.

Vielen Dank Marc Timmer für die Kleine Anfrage dazu und vor allem an das Ministerium, dass sie sie beantwortet hat.

Über 80 Prozent der Europäischen Union zählen zu den ländlichen Räumen und auch in Schleswig-Holstein nehmen die ländlichen Räume einen großen Teil der Fläche ein. Diese Räume sind das Fundament unserer europäischen Gemeinschaft, denn sie prägen uns in allen Bereichen. Nicht nur ist der größte Teil unserer mittelständischen Wirtschaft, Handwerk, Industrie und Dienstleistungen dort angesiedelt; auch die regionale Vielfalt unserer Lebensmittel wird in den ländlichen Räumen produziert. Die ländlichen Räume sind die Stärke Europas und sie sind die Voraussetzung für attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen. Und genau aus diesem Grund dürfen wir diese Regionen auch in Zukunft nicht abhängen.

Die Zukunft meint insbesondere nach 2027. Die Halbzeitrevision des Mehrjährigen Finanzrahmens ist der richtige Schritt und die vorgeschlagenen Anpassungen der Kommission sind klug und notwendig. Warum muss man aber nun etwas so Sinnvolles hier im Landtag noch einmal bestätigen. Kann doch keiner was dagegen haben, gegen diese fabelhafte Kohäsionspolitik, oder?

Seit Verabschiedung des EU-Haushalts im Dezember 2020 hat sich die Welt radikal verändert und vielfältige Herausforderungen erfordern ein Umdenken und entschlossenes Handeln. Die Nationalstaaten sind weniger bereit oder in der Lage etwas in den Umverteilungstopf EU zu geben. Die Kommission, also die EU-Regierung, will ihre Programme fortsetzen und ausbauen, je nach politischem Schwerpunkt. Und das Parlament muss sich erstmal wählen lassen, dann werden wir sehen, welche Schwerpunkte dort gesetzt werden.

Gerade in turbulenten Zeiten dürfen wir aber dennoch nicht unser Fundament und damit die langfristige, stabile Entwicklung unserer Regionen aus dem Blick verlieren. Jede Anpassung, und sei sie noch so notwendig, darf deshalb nicht auf Kosten der Strukturpolitik gehen. Und auch wenn es darum geht, den nächsten EU-Haushalt festzulegen, müssen klare Impulse in die Regionen gehen.

Ich habe Kohäsion zu Beginn meiner Rede als Zusammenhalt beschrieben und genau darum geht es. Versäumen wir es, rechtzeitig und ausreichend in unsere ländlichen Räume zu investieren, drohen wir auseinanderzufallen. Spätestens seit dem „Brexit“ wissen wir: Der Ausstieg ist möglich, wenngleich wir gut beobachten können, dass er nicht sonderlich klug ist. Doch hier geht es nicht um Klugheit.

Erst vor kurzem hat die AfD vom „Dexit“ gesprochen, dem Austritt Deutschlands aus der EU. Ja, das ist ein selten dämlicher Vorschlag, aber er ist auch ein Symptom für den Zeitgeist. Viele Menschen, und das gilt gerade auch in den ländlichen Räumen, fühlen sich zurecht abgehängt. Und diese Tatsache dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Strukturelle Investitionen, gerade in die wirtschaftlich schwächer entwickelten Regionen, können hier wahre Wunder wirken.

Denn am Ende gilt: Gute Kohäsionspolitik ist immer auch Demokratiepolitik!

Vielen Dank.

Eka von Kalben

Landtagsvizepräsidentin

Sprecherin für Europa, Religion, Minderheiten und Inklusion